Unterstützte Beschäftigung - Grundinformationen
Unterstützte Beschäftigung (Supported Employment) bietet Unterstützung für Menschen mit Behinderungen und andere benachteiligte Gruppen, um bezahlte Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten und zu halten (EUSE 2004, 13, Übersetzung durch den Verfasser).
Zielgruppe
Unterstützte Beschäftigung ist eine kundengesteuerte, professionelle Dienstleistung, die sich an folgende drei KundInnengruppen richtet:
- Arbeitssuchende und ArbeitnehmerInnen mit einem besonderen Unterstützungsbedarf im Arbeitsleben
- ArbeitgeberInnen
- Leistungsträger wie z. B. in Österreich das Bundessozialamt oder das Arbeitsmarktservice, in Deutschland das Integrationsamt, die Agentur für Arbeit, die ARGE, die Rehabilitationsträger oder die Sozialhilfeträger
Jede dieser KundInnengruppen hat spezifische Erwartungen an den Prozess der Unterstützten Beschäftigung. Sie repräsentieren mit der sozialen Welt der Menschen mit Behinderung, der Wirtschaftswelt und der Verwaltungswelt unterschiedliche Systeme, in denen teilweise ein spezifischer Fachjargon gesprochen wird, unterschiedliche Denkweisen und Systemlogiken das Handeln bestimmen und verschiedene AkteurInnen bedeutsam sind. Unterstützte Beschäftigung ist deshalb auch ein Vermittlungsprozess an der Schnittstelle zwischen diesen verschiedenen Systemen. In der Praxis gilt es dabei oft eine Balance zwischen den gelegentlich verschiedenen Interessen der KundInnengruppen zu halten. Im Fokus sollen dabei die unterstützten Arbeitssuchenden und ArbeitnehmerInnen stehen.
Unterstützte Beschäftigung wurde zunächst für Menschen mit Lernschwierigkeiten, also mit einer sogenannten Lern- und geistigen Behinderung entwickelt ( Bellamy, Rhodes, Mank, Albin 1987, Horizon 1995) . Die Erkenntnis, dass Menschen mit schweren Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sein können, wenn sie individuelle und langfristige Unterstützung erhalten, ist nicht auf einzelne Behinderungsarten beschränkt. Supported Employment Projekte haben mittlerweile weltweit gezeigt, dass alle Menschen mit Behinderungen in integrativen Arbeitsverhältnissen arbeiten können, so z. B.
- Menschen mit Down Syndrom
- schwerer geistiger Behinderung
- Körper- und Mehrfachbehinderungen
- Autismus
- erworbenen Hirnschädigungen
- und in modifizierter Form für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen.
Für jede Person, die noch in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder Tagesförderstätte arbeitet, kann mittlerweile weltweit eine Person mit einer vergleichbaren Beeinträchtigung gefunden werden, die in einem integrierten Arbeitsverhältnis unterstützt wird.
Unterstützte Beschäftigung zielt insbesondere auf jene Menschen, die ohne intensive individuelle Unterstützung keinen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden bzw. ihren Arbeitsplatz schnell wieder verlieren würden. Diese Personengruppe wurde in der Vergangenheit oft, z. B. durch Tests der Agentur für Arbeit als "nicht vermittlungsfähig" vom allgemeinen Arbeitsmarkt entweder in WfbM oder in die Erwerbsunfähigkeitsrente ausgegrenzt. Dabei bezeichnet das Attribut "nicht vermittlungsfähig" meiner Auffassung nach eher eine Grenze des derzeitigen Unterstützungssystems als eine Eigenschaft der unterstützten Person mit Behinderung.
Methodisches Vorgehen
Unterstützte Beschäftigung umfasst folgende methodische Elemente:
- individuelle Berufsplanung mit der Erstellung eines beruflichen Profils
- individuelle Arbeitsplatzsuche bzw. Unterstützung bei der Suche des Arbeitsplatzes
- Vorbereitung des Arbeitsverhältnisses
- Unterstützung bei der Beantragung von Fördermitteln
- Arbeitsplatzanalyse und -anpassung
- Arbeitserprobungen, begleitete Praktika
- betriebliche Unterstützungsphase
- Erstellung eines Einarbeitungs- und Unterstützungsplans
- Job- Coaching, Qualifizierung am Arbeitsplatz
- Beratung und Unterstützung von KollegInnen im Betrieb
- weitergehende Unterstützung, psychosoziale Betreuung je nach Bedarf von gelegentlicher Krisenintervention bis zu dauerhafter Unterstützung am Arbeitsplatz.
Grundsätze
Unterstützte Beschäftigung ist eine ambulante Organisationsform der beruflichen Rehabilitation und der Unterstützung von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben. Im Gegensatz zu traditionellen Rehabilitationsmaßnahmen setzt Unterstützte Beschäftigung auf
- individuelle Unterstützung statt Unterstützung in Gruppen
- das Erstellen eines dynamischen individuellen Fähigkeitsprofils, Assessment in betrieblichen Realsituationen statt statusdiagnostische Tests und Assessment in außerbetrieblichen künstlichen Situationen
- aktive individuelle Arbeitsplatzakquisition statt reaktive berufsgruppenbezogene Arbeitsvermittlung
- direkte Unterstützung der Qualifizierung und Inklusion in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarkts durch Job Coaching statt vorbereitender außerbetrieblicher Qualifizierung und Exklusion in Sondereinrichtungen
- eine intensive Beratung und konkrete personelle Unterstützung durch einen Integrationsberater bzw. einen Job Coach zur Aufnahme und Sicherung eines Arbeitsverhältnisses
Werte und Prinzipien
Unterstützte Beschäftigung ist nicht nur ein neuer methodischer Ansatz der beruflichen Rehabilitation, sondern basiert auf einer veränderten Sichtweise sowohl von Menschen mit Behinderungen als auch davon, wie Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ihre Unterstützung anbieten sollten. Die zugrunde liegenden Werte und Prinzipien sind:
- Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten
- Inklusion, Teilhabe am (Arbeits-)Leben
- Individuelle, betriebs- und wohnortnahe Unterstützung
- Chancengleichheit, Schutz vor Diskriminierung
- Orientierung an Fähigkeiten und Lebensqualität
Die folgende Zusammenstellung der europäischen Helios Arbeitsgruppe 10 verdeutlicht sehr gut, wie Unterstützte Beschäftigung als Teil eines umfassenden Paradigmenwechsels in der Behindertenhilfe positioniert wird:
Philosophie
Das Konzept Unterstützte Beschäftigung gründet sich auf fünf (Menschen-)Rechte behinderter Personen:
- Das Recht auf Achtung der menschlichen Würde.
- Das Recht auf die Freiheit der Wahl in allen Lebenslagen.
- Das Recht, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und gleichberechtigt am sozialen Geschehen teilzuhaben.
- Das Recht, eine aktive Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
- Das Recht, integriert in der Ortsgemeinde zu leben.
Ein neues Grundverständnis
Es wird oft angenommen, dass behinderte Menschen normalerweise nur über begrenzte Fähigkeiten verfügen. Gerade diese Annahme schränkt jedoch ihre Entwicklungsmöglichkeiten ein.
Gleichzeitig führt ein ausgedehntes System von Sondereinrichtungen zur Verstärkung der gesellschaftlichen Aussonderung behinderter Menschen. Das dahinterstehende traditionelle Paradigma kann mit folgenden Annahmen zusammengefasst werden:
- Menschen mit Behinderungen können keine eigenen Entscheidungen treffen und müssen deshalb beschützt werden.
- Experten wissen am besten, was für behinderte Menschen gut ist.
- Menschen mit gleicher Behinderungsart benötigen gleiche, auf die Behinderung abgestimmte, spezielle Hilfen und Einrichtungen.
- Menschen mit geistiger Behinderung bleiben ihr Leben lang auf dem emotionalen und kognitiven Entwicklungsstand eines Kindes.
- Menschen mit Behinderungen sind am zufriedensten, wenn sie einfache Arbeiten ausführen können.
- Menschen mit Behinderungen finden die besten Freunde unter ihresgleichen.
- Unsere Gesellschaft ist nicht in der Lage, mit Menschen, die behindert sind, umzugehen und sie zu respektieren.
- Spezielle Sondereinrichtungen können den Interessen behinderter Menschen am besten gerecht werden.
Im Gegensatz zu diesen Anschauungen basiert das Konzept von Unterstützter Beschäftigung auf neuen Leitbildern:
- Alle Menschen wollen ihr Leben selbst bestimmen und Entscheidungen treffen; dazu benötigen sie gute Informationen und individuelle Unterstützung.
- Vielfältige Perspektiven sind wichtig; Experten haben nur eine unter anderen.
- Motivation, Wünsche, Stärken und Ziele einer Person sind wichtige Ausgangspunkte der Hilfe und nicht ihre jeweilige Behinderung. Menschen mit gleicher Behinderung haben unterschiedliche Fähigkeiten, Wünsche und Ziele.
- Menschen hören nie auf, sich zu entwickeln. Jeder kann lebenslang lernen.
- Menschen wollen gefordert werden, dazulernen und sich entwickeln.
- Menschen suchen Kontakt zu anderen, bauen Sympathien und Beziehungen auf und wollen anderen etwas bedeuten.
- Menschen versuchen in ihrem Leben die gleichen Wünsche zu befriedigen (Sicherheit, Beziehung, Entwicklung, Anerkennung).
- Menschen haben ihre individuellen Probleme und benötigen daher auch individuelle Problemlösungen. (Bellver u. a. 1996, 9, deutsch Doose u. a. 1999, 92 f.)
Menschen mit Behinderungen als Menschen mit Fähigkeiten zu sehen und durch neue, ambulante Unterstützungsangebote die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, dass sie diese Fähigkeiten auch im Arbeitsleben in regulären Betrieben an der Seite nichtbehinderter KollegInnen einbringen können, ist der zentrale Ausgangspunkt Unterstützter Beschäftigung. Nur in diesem Kontext erhält das Konzept der Unterstützten Beschäftigung sein innovatives Potenzial, andernfalls droht es zu einer Fortsetzung des alten an der Behinderung und Defiziten orientierten Maßnahmenparadigmas mit einer neuen Maßnahme zu werden.
Unterstützte Beschäftigung bietet nach Maßgabe des Einzelfalles alle notwendigen Hilfen und Unterstützungen, um eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden und erfolgreich zu halten. Unterstützte Beschäftigung definiert sich international über folgende Kernelemente (vgl. Doose 2007).
1. Integration: Das wichtigste Merkmal von Unterstützter Beschäftigung ist, dass Menschen mit einer Behinderung in regulären Betrieben an der Seite von nichtbehinderten KollegInnen arbeiten. Durch Unterstützte Beschäftigung soll die Integration in allen Bereichen des Arbeitsalltags gefördert werden. Dazu gehören neben der gemeinsamen Arbeitstätigkeit auch Pausen, Feiern im Betrieb, die Fahrt von und zu der Arbeit sowie außerbetriebliche Aktivitäten unter KollegInnen. Der Grad der erreichten Integration im Betrieb ist der Maßstab des Erfolgs der Unterstützten Beschäftigung.
2. Bezahlte, reguläre Arbeit: Bei Unterstützter Beschäftigung geht es um die Unterstützung von Menschen bei bezahlter Arbeit, die sonst von nichtbehinderten Menschen getan werden müsste und nicht um therapeutische, unbezahlte Beschäftigung. Jeder Beschäftigte mit Behinderung sollte zumindest den gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten. Die Kompensation von Minderleistungen kann entweder durch eine Anpassung der Lohnhöhe an die Produktivität oder eine Lohnkostensubventionierung erreicht werden.
3. Erst platzieren, dann qualifizieren: Dies ist eine Umkehrung des gängigen Rehabilitationsparadigmas erst qualifizieren, dann platzieren aus der Erkenntnis heraus, dass viele Menschen, insbesondere Menschen mit Lernschwierigkeiten, besser in Realsituationen lernen und Probleme bei der Generalisierung von Gelerntem haben. In der Praxis hat sich außerdem gezeigt, dass Menschen bei der Qualifizierung außerhalb von Realsituationen häufig im System stecken bleiben und nicht adäquat auf die Anforderungen vorbereitet werden. Die niedrige Übergangsquote aus WfbM in den allgemeinen Arbeitsmarkt oder die Übergangsprobleme nach außerbetrieblichen Berufsvorbereitungen und -ausbildungen sind Beispiele dafür.
4. Unterstützungsangebote für alle Menschen mit Behinderungen: Zielgruppe von Supported Employment sind insbesondere Menschen mit schweren Behinderungen, die bisher als "nicht vermittlungsfähig" galten und individuelle, intensivere Hilfe benötigen, um erfolgreich eine Arbeit zu finden und ausfüllen zu können. Niemand soll prinzipiell aufgrund der Schwere seiner Behinderung abgewiesen werden ("Zero-Reject"). Es wird als Aufgabe von Unterstützter Beschäftigung gesehen, auch für Menschen mit schwersten Behinderungen integrative Arbeitsmöglichkeiten und die dazu notwendigen Unterstützungsangebote individuell zu entwickeln.
5. Flexible und individuelle Unterstützung: Die Unterstützung in Unterstützter Beschäftigung soll alle Hilfen umfassen, die im Einzelfall notwendig sind, um erfolgreich in einem Betrieb zu arbeiten. Dazu müssen die Hilfen flexibel und sehr individuell angeboten werden. Unterstützte Beschäftigung umfasst die individuelle Unterstützung bei der beruflichen Zukunftsplanung, Arbeitsplatzsuche, Arbeitsplatzanpassung, Qualifizierung und bei Problemen am Arbeitsplatz, aber z. B. auch ein Fahrtraining des Arbeitswegs oder die erforderlichen Hilfen beim Benutzen einer Toilette für Menschen mit einer entsprechenden Körperbehinderung.
6. Keine zeitliche Begrenzung der Unterstützung: Viele Menschen mit einer schweren Behinderung benötigen lebenslange Unterstützung. Wie in einer WfbM soll in Unterstützter Beschäftigung die notwendige Unterstützung am Arbeitsplatz solange wie nötig, unter Umständen also ein Arbeitsleben lang, möglich sein. In der Regel reduziert sich jedoch die erforderliche Hilfe nach einer intensiveren Einarbeitungsphase.
7. Bereitstellung von Wahlmöglichkeiten und Förderung von Selbstbestimmung: Aufgabe von Unterstützter Beschäftigung ist es, die traditionell sehr eingeschränkten Wahlmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung hinsichtlich der Art der Tätigkeit und der Art der Unterstützung zu erweitern. Unterstützte Beschäftigung trägt zum einen dazu bei, dass auch Menschen mit einer schweren Behinderung neben einer Werkstatt für behinderte Menschen andere Wahlmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Unterstützung im Arbeitsleben haben. Die Aufgabe von Unterstützter Beschäftigung ist es zum anderen, unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten mit der BewerberIn zu erkunden. Ziel ist es, während des gesamten Unterstützungsprozesses die Selbstbestimmung zu fördern und zu achten, so z. B. bei der Auswahl eines Arbeitsplatzes und der Ausgestaltung der Unterstützung am Arbeitsplatz.
Entwicklung
Das Konzept der Unterstützten Beschäftigung (Supported Employment) wurde Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre in den USA entwickelt und sich mittlerweile in vielen Ländern der Welt als neuer Ansatz der beruflichen Rehabilitation etabliert hat. So wie im Wohnbereich der Ansatz des Supported Living wesentliche Impulse zur Entwicklung von ambulanter Unterstützung im eigenen Wohnraum gegeben hat, so war es im Bereich der Arbeit für Menschen mit Behinderung das Konzept des Supported Employment. In Deutschland und Österreich wurde es seit Anfang der neunziger Jahre in zahlreichen Modellprojekten erfolgreich erprobt worden. Das Konzept der Unterstützten Beschäftigung hat die Entwicklung von -> Arbeitsassistenz und -> Job Coaching in Österreich und den -> Integrationsfachdiensten in Deutschland maßgeblich mit beeinflusst, so finden sich die Zielgruppe und die methodischen Elemente in den gesetzlichen Regelungen wieder. Bei der Betrachtung der Entwicklung von Unterstützter Beschäftigung in den USA, Europa, Österreich und Deutschland wird eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen von Unterstützter Beschäftigung und dem unter den jeweiligen förderrechtlichen Rahmenbedingungen erreichten Stand der Entwicklung deutlich. Dies betrifft in Deutschland insbesondere die Unterstützung von Menschen mit schweren Behinderungen in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes und die Möglichkeit der dauerhaften Unterstützung. An der aufgezeigten Zielperspektive von Unterstützter Beschäftigung und den Kernelementen einer wirksamen Unterstützung im Arbeitsleben ändert dies jedoch nichts. Sie muss politisch weiter verfolgt und mit konkreten Projekten in die Praxis umgesetzt werden. Die weltweiten Erfahrungen mit Unterstützter Beschäftigung zeigen, dass unter entsprechenden Rahmenbedingungen verschiedene Zielgruppen, darunter auch Menschen mit einer schweren Behinderung, erfolgreich in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden können.
Grundlagenliteratur und Quelle: Doose, Stefan: Unterstützte Beschäftigung: Berufliche Integration auf lange Sicht. 2. durchgesehene und aktualisierte Auflage. Lebenshilfe-Verlag Marburg 2007.
Vertiefungsliteratur:
European Union of Supported Employment: Informationsbroschüre und Qualitätsstandards. Englisch EUSE 2004. Deutsch BAG UB Hamburg 2007. Verfügbar über: http://www.bag-ub.de/ub/download/ub_quality_EUSE_de.pdf [Datum des Zugriffs: 8.9.2007]