Vorbereitung des Arbeitsverhältnisses und erste Arbeitsplatzanalyse

Die sorgfältige Vorbereitung des Arbeitsverhältnisses ist Teil der professionellen Dienstleistung für ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen und Grundlage für eine passgenaue Vermittlung. In dieser Phase geht es zunächst darum, den Betrieb, die Vorgesetzten und KollegInnen sowie den zukünftigen Arbeitsplatz kennenzulernen, um zu erkunden, ob der Arbeitsplatz für die BewerberIn geeignet ist und welche Anpassungen des Arbeitsplatzes, Unterstützungsmöglichkeiten oder Qualifizierungen am Arbeitsplatz sinnvoll wären. Die ArbeitgeberIn wird in diesem Zusammenhang bei der Beantragung von finanziellen Fördermitteln wie Lohnkostenzuschüssen oder Investitionsbeihilfen zur Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes oder zur behindertengerechten Anpassung eines bestehenden Arbeitsplatzes unterstützt (Fördermöglichkeit in Deutschland s. BIH 2004a, in Österreich s. Bundessozialamt 2007 ). Die ArbeitnehmerIn mit Lernschwierigkeiten kann beispielsweise mit Fahrtraining auf den Arbeitsweg oder mit gezielten Trainingsmaßnahmen auf die Anforderungen des Arbeitsplatzes vorbereitet werden.

Die Beschreibung und Analyse des zukünftigen Arbeitsverhältnisses kann sowohl auf der Ebene des Betriebs, des Arbeitsplatzes sowie der Tätigkeiten erfolgen. Eine Arbeitsplatzanalyse im umfassenden Sinne (Wetzel 2004, 95 ff., Horizon 1999, 54 ff., Meuth 1996, 70 f.) ist ein dynamischer Prozess, der sowohl von der Gestaltbarkeit des Arbeitsplatzes und des Arbeitsumfelds, als auch von der Entwicklungsfähigkeit der unterstützten ArbeitnehmerIn ausgeht. Der Zeitrahmen wird dabei unterschiedlich sein und kann von einer halben Stunde bis zu einer Mitarbeit im Betrieb an einem Tag reichen. Vielfach stehen am Anfang zunächst eine grobe Einschätzung der Atmosphäre und Arbeitsbedingungen im Betrieb, der Arbeitsaufgaben mit ihren Anforderungen sowie der betrieblichen AnsprechpartnerInnen. Erst während des Praktikums bzw. der Einarbeitungszeit im Betrieb kann dann oft die Arbeitsplatzanalyse stärker ausdifferenziert werden. Das Instrument der Arbeitsplatzanalyse ist dabei nicht auf die Anfangsphase des Arbeitsverhältnisses begrenzt. Sie kann z. B. bei Veränderungen der Arbeits­situation, Problemen am Arbeitsplatz oder zur Weiterentwicklung auch wiederholt im Integrationsprozess eingesetzt werden. Sie bildet den Ausgangspunkt für die Gestaltung und Entwicklung des Arbeitsplatzes und seiner Einbindung in den Arbeitsablauf und die Arbeitsorganisation sowie die Unterstützung und Qualifizierung der ArbeitnehmerIn im Betrieb.

Eine derartige Arbeitsplatzanalyse erfordert, wie der Prozess der Unterstützten Beschäftigung insgesamt, den Aufbau eines gegenseitigen Vertrauensverhältnisses zwischen Betrieben und dem Fachdienst (z.B. Arbeitsassistenz in Österreich/ Integrationsfachdienst in Deutschland), da die IntegrationsberaterIn von der Unternehmensleitung in das Unternehmen hineingelassen werden muss (Wetzel 2004, 76). Ein solcher Schritt kann für ein Unternehmen, aber auch für einzelne Vorgesetzte und KollegInnen eine große Überwindung bedeuten, da sie unter Umständen Befürchtungen haben, dass dabei Interna offenbart werden. Hinzu kommen häufig Zeitmangel der Entscheidungsträger und Skepsis gegenüber der Sinnhaftigkeit einer Arbeitsplatzanalyse (vgl. Hamburger Arbeitsassistenz 2001, 170). Es ist daher vorteilhaft, ein Basiswissen über verschiedene Branchen und die dort für die unterstützten Arbeit­nehmerInnen in Frage kommenden Tätigkeiten aufzubauen, um schneller den Tätigkeitsbereich zu erfassen und konkrete, möglichst fachkundige Nachfragen zum Tätigkeitsbereich stellen zu können. Außerdem sollte die Bedeutung der Arbeitsplatzanalyse für eine passgenaue Vermittlung erläutert und selbstverständlich betriebliche Interna vertraulich behandelt werden. Die Grundhaltung sollte von einem Interesse für das Unternehmen und die MitarbeiterInnen sowie die Arbeitsabläufe geprägt sein. Die MitarbeiterInnen im Betrieb sollten als ExpertInnen ihrer Arbeit ernst genommen und in die Planung und Problemlösungen, z. B. in Bezug auf die Anpassung eines Arbeitsplatzes einbezogen werden. Dabei sind die zur Verfügung stehende Zeit und die Auswirkungen von Veränderungen auf die KollegInnen und den Gesamtbetrieb zu beachten. Alle Beteiligten sollten über den geplanten Integrationsprozess und die Rolle der IntegrationsberaterIn im Bilde sein. Die KollegInnen und Vorgesetzte sollten bei Bedarf über Stärken und Fähigkeiten, die Leistungsfähigkeit sowie ggf. den Unterstützungsbedarf der neuen KollegIn informiert werden. Ängste, Unsicherheiten und Bedenken der KollegInnen und Vorgesetzten müssen wahrgenommen, respektiert und diskutiert werden. Sachliche Informationen über die Behinderung und den persönlichen Umgang damit können dabei hilfreich sein. Eine wichtige Aufgabe ist es, mögliche betriebliche Unterstützungspersonen zu identifizieren, die vielleicht als MentorInnen den Einarbeitungs- und Integrationsprozess unterstützen können.

Für die betriebliche Integration ist es wichtig, nicht nur die formalen Rahmenbedingungen und Anforderungen des Arbeitsplatzes zu erfassen, sondern auch ein Gespür für die Unternehmenskultur eines Betriebs zu bekommen. Unter Unternehmenskultur (Schein 1985, Schreyögg 1998) versteht man die kollektiv in einem Unternehmen geteilten Basisannahmen, Normen und Werte sowie deren Ausdruck in Symbolen und Alltagshandeln. Dem Konzept der Unternehmenskultur liegt die Annahme zugrunde, dass sich in einem Unternehmen wie auch in gewissen Branchen im Laufe der Zeit spezifische Vorstellungs-, Orientierungs- und Handlungsmuster herausbilden (Wetzel 2004, 40). Diese drücken sich beispielsweise im Führungsstil, in Kommunikationsstilen, sozialen Aktivitäten, offiziellen und informellen Hierarchien, üblichen Arbeitsstilen, Kooperations- und Unterstützungsformen, Besitzansprüchen und Territorien, Ess- und Trinkgewohnheiten, betrieblichen Ritualen, Festen und Feierlichkeiten, im Humor sowie der getragenen Kleidung aus (vgl. Hagner/DiLeo 1993, Beispiele aus der Praxis: Hamburger Arbeitsassistenz 2001, 201 ff.). Der Blick auf die Kultur eines Unternehmens kann wertvolle Hinweise für die berufliche Integration liefern, da einerseits die Art und Weise der Gestaltung des beruflichen Integrationsprozesses zur Kultur des Betriebs passen sollte und andererseits die unterstützte ArbeitnehmerIn in genau diese Kultur integriert werden soll. Die Analyse ist hingegen für die IntegrationsberaterIn zunächst schwierig, da die Unternehmenskultur nur in Ausschnitten für Externe sichtbar ist, ihr das Wissen um interne Zusammenhänge und Bedeutungen fehlt und eigentlich die gesamte Belegschaft und nicht nur ein Teil beobachtet werden muss (Wetzel 2004, 96 f.).

Eine Kulturanalyse kann auf folgenden Ebenen erfolgen (vgl. Wetzel 2004, 97 f., Putzke/Klüssendorf 2005, 69 ff.):

  • Analyse von sichtbaren, materiellen Dingen (z. B. Firmenbeschreibung, Werbung, Internetauftritt, Aushängen, Dienstanweisungen, Raumgestaltung, Kleidung)
  • Beobachtungen von Verhalten (Umgangsformen der KollegInnen untereinander, Kommunikation zwischen Vorgesetzten und MitarbeiterInnen, Cliquen, Pausensituationen, Rituale)
  • Nachfragen und Gespräche mit Betriebsangehörigen (wichtige Regeln, Erwartungen, übliche Aufgabenerledigung, Umgangsformen)
  • Interpretation von unsichtbaren Zusammenhängen (Haltungen, die in Gesprächen deutlich werden, Witze, Geschichten)

Je länger die IntegrationsberaterIn Kontakt zum Unternehmen hat, umso differenzierter können die Unternehmenskultur und Ansatzpunkte für die betriebliche Integration der unterstützten ArbeitnehmerIn, aber auch für Veränderungsprozesse wahrgenommen werden. Das Handeln der IntegrationsberaterIn muss dabei einerseits anschlussfähig an die betrieblichen Normen und Werte sein, andererseits kann sich durch die Integration einer MitarbeiterIn mit Behinderung auch die Unternehmenskultur verändern.

Es gibt umfangreiche Verfahren zur Arbeitsanalyse wie beispielsweise den Fragebogen zur Arbeitsanalyse (FAA) (Frieling/Hoyos 1978) oder IMBA (IMBA 2000) und MELBA (BMA 1997) speziell im Hinblick auf Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen. Für den Einsatz in der Arbeit von Integrationsfachdiensten eignen sich diese Verfahren ähnlich wie bei der Erstellung eines persönlichen Profils nach den Erfahrungen der Dienste nur bedingt (vgl. Horizon 1999, 53, Wetzel 2004, 104), da

  • der Umfang der beurteilten Kriterien zu groß, die Bearbeitung zu zeitaufwendig und ein solches Instrument im Betrieb damit nur schwer einsetzbar ist
  • durch detaillierte Beschreibung und Festlegung der Arbeitsausführung und der Arbeitsanforderungen ohne Einbeziehung von Möglichkeiten der Arbeitsplatzgestaltung die Eignung der BewerberIn zu früh in Zweifel gezogen werden könnte
  • viele der abgefragten Anforderungen für einfach strukturierte Arbeiten, wie sie für Menschen mit Lernschwierigkeiten in Frage kommen, keine Relevanz haben
  • nach der Erfahrung der Dienste soziale und emotionale Komponenten, die von den Arbeitsanalyseinstrumenten nur begrenzt erfasst werden können, im betrieblichen Gefüge bisweilen für den Integrationserfolg entscheidend sind

Dies heißt nicht, dass es nicht sinnvoll ist, Informationen über den Betrieb, den Arbeitsplatz und die Anforderungen systematisch zu erfassen. In der Praxis haben sich die Arbeitsassistenzen/ Integrationsfachdienste dafür eigene Instrumentarien entwickelt. Dabei wurden u. a. Angaben zu folgenden Punkten erhoben (Schön 1993, 145 ff., Meuth 1996, 70 f., Horizon 1999, Bungart, Supe, Willems 2001, 133 ff.):

Allgemeine Angaben zum Betrieb:

  • Branche, Betriebszweck
  • Betriebsgröße
  • Organisationsstruktur
  • Beschäftigtenstruktur allgemein
  • tarifvertragliche Regelungen
  • Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung
  • Adresse, AnsprechpartnerInnen, Telefon ggf. mit Durchwahl, Fax, Email
  • Erreichbarkeit des Betriebs mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Arbeitsplatzbezogene Informationen:

  • Beschreibung des Tätigkeitsfelds und des konkreten Arbeitsablaufs:
    • Arbeitsabläufe
    • Funktion im betrieblichen Ablauf
    • typischer Tagesablauf (Arbeitszeiten, Stoßzeiten, ruhige Zeiten, Pausenzeiten)
  • Arbeitsumfeld
    • Gestaltung des Arbeitsplatzes
    • Räumliche Gegebenheiten, Sozialräume, informelle Treffpunkte
    • Raumklima, Lärm-, Geruchsbelastung
    • Arbeitsschutzmaßnahmen
    • Barrierefreiheit
  • Personalstruktur des direkten kollegialen Umfelds:
    • Anzahl, Alter, Geschlecht, Qualifikation
    • Kooperation und Aufgabenteilung, Einzel- oder Gruppenarbeit
    • Planung und Kontrolle von Arbeitsabläufen, direkte Vorgesetzte
    • Einschätzung des Arbeitsklimas durch die Vorgesetzten und die KollegInnen
    • Mögliche AnleiterInnen und UnterstützerInnen (MentorInnen)
  • Arbeits- und Pausenzeiten, Urlaubszeiten
  • Arbeitsplatzanforderungen
    • Fachliche Anforderungen (notwendige Kenntnisse, Fertigkeiten)
    • Motorische Anforderungen (Grob- und Feinmotorik, Hand-Auge-Koordination, Kraft)
    • Körperliche Anforderungen (tragen, stehen, sitzen, heben etc.)
    • Kognitive Anforderungen (lesen, schreiben, Zahlen kennen, rechnen, merken)
    • Anforderungen an die zeitliche und räumliche Orientierung
    • Anforderungen im Bereich der Wahrnehmung (sehen, hören, riechen)
    • Anforderungen an die Arbeitsqualität und das Arbeitstempo
    • Soziale und kommunikative Anforderungen (Einzel- /Gruppenarbeitsplatz, Aufgabenüberschneidung, Umfang der notwendigen Absprachen, Anzahl der AnsprechpartnerInnen, KundInnenkontakt, Pausensituation)
    • Psychische Anforderungen (Belastbarkeit, Konzentration, Flexibilität, Eigeninitiative)
  • Möglichkeiten der individuellen Gestaltung und Anpassung des Arbeitsplatzes
    • Möglichkeiten der Veränderung der Arbeitszeiten, Arbeitsaufgaben, Arbeitsanforderungen
    • Möglichkeiten der Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Entwicklung und des Einsatzes einfacher Arbeitshilfen und technischer Hilfsmittel
    • Möglichkeiten der personellen Unterstützung durch KollegInnen, Job-Coaching oder Arbeitsassistenz

Die Möglichkeiten einer umfassenden Arbeitsplatzanalyse und der Gestaltung von Arbeitsplätzen werden im Vorfeld des Arbeitsverhältnisses unterschiedlich sein. Eine detaillierte Arbeitsplatzanalyse ist auch nicht immer erforderlich. Die IntegrationsberaterIn sollte aber im Vorfeld einen fundierten ersten Eindruck vom Betrieb, der Unternehmenskultur, dem zukünftigen Arbeitsplatz und den Arbeitsaufgaben mit ihren Anforderungen haben und einschätzen können, ob dieser Arbeitsplatz zur BewerberIn passt und ob ggf. eine Anpassung des Arbeitsplatzes erforderlich ist. Es bietet sich an, Arbeitsbedingungen, die Möglichkeit der Anpassung von Arbeitsplätzen (vgl. nächster Abschnitt) und weitere Unterstützungsmöglichkeiten, soweit möglich, bereits am Anfang des Arbeitsverhältnisses zu thematisieren. Viele Dinge ergeben sich erst im Praktikum bzw. der Einarbeitungszeit. Die IntegrationsberaterIn steht dabei der ArbeitgeberIn, der unterstützten ArbeitnehmerIn sowie den KollegInnen und Vorgesetzten zur Beratung und Unterstützung zur Verfügung.


Zuletzt geändert: Montag, 19. August 2013, 14:43