Individuelle Berufsplanung mit der Erstellung eines beruflichen Profils

Die individuelle Berufsplanung soll die KundIn unterstützen:

  • eine eigene Vision für einen zukünftigen Arbeitsplatz zu entwickeln
  • eigene Interessen, Wünsche, Bedürfnisse zu äußern
  • die eigenen Unterstützungsbedarfe zu erkennen und einzuschätzen
  • mögliche UnterstützerInnen zu identifizieren

Ziel der individuellen Berufsplanung (vgl. Doose, Emrich, Putzke 2004, 117 f., Doose, Putzke, Wiesenberg 2004) ist es, ein persönliches berufliches Profil zu entwickeln, in das alle wichtigen Informationen einfließen, um mit der KundIn eine berufliche Perspektive zu erschließen und um eine zu ihr passende und sie befriedigende Arbeitsstelle zu finden. Die individuelle Berufsplanung mit der Erstellung eines persönlichen beruflichen Profils ist immer ein dynamischer Prozess des Erkundens von Möglichkeiten und des gegenseitigen Kennenlernens zwischen der IntegrationsberaterIn und der arbeitssuchenden Person und kein von den ExpertInnen dominiertes Feststellungsverfahren.

Ein Grund für den Erfolg von Unterstützter Beschäftigung ist die individuelle, möglichst passgenaue Arbeitsvermittlung. Die Qualität der individuellen Arbeitsvermittlung liegt darin, sowohl die arbeitssuchende Person als auch den Betrieb möglichst gut zu kennen, um eine möglichst gute Passung zwischen den Fähigkeiten und der Persönlichkeit der BewerberIn auf der einen Seite und den Anforderungen und der Kultur des Betriebs auf der anderen Seite zu erreichen. Die individuelle Berufsplanung mit der Erstellung eines persönlichen beruflichen Profils ist im Hinblick auf die BewerberIn die Basis für die passgenaue Arbeitsvermittlung, während es auf der Seite des Betriebs die Arbeitsplatzanalyse ist. Eine sorgfältige individuelle Berufsplanung mit der BewerberIn ist eine sinnvolle und notwendige Investition in die Qualität und Dauerhaftigkeit der Vermittlungen.


Das Ziel der Informationssammlung muss allen Beteiligten deutlich sein. Die KundIn sollte in alle Schritte der Informationssammlung aktiv einbezogen werden und muss jeweils ihre Zustimmung erteilen. Die konkrete Ausgestaltung dieses Prozesses kann im Hinblick auf verschiedenen Zielgruppen und die KundIn durchaus unterschiedlich gestaltet sein. Die spezielle Zielsetzung der Entwicklung einer beruflichen Perspektive begrenzt und fokussiert die Informationssammlung. Ausgangspunkt des persönlichen beruflichen Profils sind die individuellen Interessen, Stärken und Fähigkeiten und nicht die Beeinträchtigung. Die individuelle Berufsplanung ist zukunftsbezogen. Nicht jede Einzelheit aus der Vergangenheit der Person, nicht jede Einschränkung oder Eigenart, nicht jeder Punkt aus umfangreichen Kompetenzprofilen ist wichtig, um für eine bestimmte Person erfolgreich einen Arbeitsplatz zu finden. Ein Zuviel an Hintergrundinformationen kann manchmal sogar nachteilig sein. Im Prozess der individuellen Berufsplanung soll ein lebendiges, vielfältiges Bild der BewerberIn entstehen, das quasi als „Fahndungsfoto“ für einen passenden Arbeitsplatz genutzt werden kann. Die IntegrationsberaterIn sollte ein positives Gefühl dafür bekommen, was die KundIn auszeichnet.

Eine Möglichkeit, die ersten Informationen für die Arbeitssuche zusammenzustellen, ist ein sogenanntes Miniprofil (DiLeo/Langton 1993). Bei diesem Miniprofil geht es darum, die BewerberIn in knapper Form mit Stärken, Fähigkeiten und Interessen potenziellen ArbeitgeberInnen vorstellen zu können. Für das Miniprofil werden z. B.

  • drei persönliche Stärken
  • drei besondere Arbeitsfähigkeiten
  • drei persönliche Interessen

zusammengestellt. Das Miniprofil ist eine Möglichkeit, die besondere Motivation, wieso eine Person unbedingt in der angesprochenen Firma arbeiten möchten, ihre Stärken und speziellen Fähigkeiten hervorzuheben, die in einer normalen Bewerbung, mit einem bei Menschen mit Lernschwierigkeiten oft lückenhaften oder wenig aussagekräftigen Lebenslauf, meist nicht deutlich werden.

Eine weitere Möglichkeit, relevante Merkmale der Ausgangssituation der KundIn kurz zusammenzufassen, ist die Persönliche Profilanalyse (PPA), wie sie auch von Vermittlungsdiensten für Langzeitarbeitslose (Bureau Maatwerk 1995) benutzt wurde. Dieses persönliche Profil umfasst Informationen über

  • Motivation, wieso eine Person arbeiten will
  • Stärken und berufliche Fähigkeiten der Person
  • Hemmnisse und Barrieren, die die Person bei der Arbeitsaufnahme überwinden muss

Das persönliche Profil mit einer möglichst guten Beschreibung der Ausgangssituation der KundIn dient als Arbeitshypothese, die während des weiteren Prozesses der beruflichen Integration immer wieder überprüft und weiterentwickelt werden muss. Das persönliche berufliche Profil wird als Basis für die Entwicklung eines Integrationsplans genutzt, der ggf. über verschiedene Stufen den Weg zum angestrebten beruflichen Ziel beschreibt. Dieser Integrationsplan mit einer klaren Zielvereinbarung sollte einen transparenten Handlungsrahmen mit einer Klärung der Verantwortlichkeiten für die nächsten Schritte der Integration bieten und für die KundIn verständlich sein. Es ist ein gemeinsames Planungsdokument, das flexibel gehandhabt werden sollte und jederzeit modifiziert und aktualisiert werden kann. Die KundIn muss entscheiden können, welche Schritte als nächste unternommen werden sollen und welche Alternativen sich ggf. bieten. Damit Arbeitssuchende mit Lernschwierigkeiten dies tun können, benötigen sie gute und verständliche Informationen und Unterstützung, um informierte und realistische Entscheidungen bezüglich ihrer zukünftigen Arbeit treffen zu können. Eine regelmäßige Kontrolle des Integrationsplans sollte terminiert werden. Alle Beteiligten sollten den Integrationsplan unterschreiben.

Für die Erstellung des persönlichen beruflichen Profils sind vielfältige Informationsquellen hilfreich: Zum einen sind dies vor allem Gespräche mit der BewerberIn selbst und mit ihrem Einverständnis auch mit Personen aus ihrem sozialen und ggf. bisherigen beruflichen Umfeld ( z. B. Familie, Schule, Wohngruppe, WfbM, Rehabilitationseinrichtung). Die Gespräche können gut an unterschiedlichen Orten ( z. B. Büro des Fachdienstes, Wohnung der ArbeitnehmerIn, Lieblingscafé, Praktikumsplatz) durchgeführt werden, um die BewerberIn in unterschiedlichen Situationen zu erleben. Weitere Informationsquellen sind schriftliche Unterlagen (beruflicher Lebenslauf, Zeugnisse, Berichte, Selbst-/Fremdeinschätzungen). Gerade für Menschen mit Lernschwierigkeiten liefern kurze Arbeitserprobungen oder Praktika, die mit der BewerberIn sorgfältig reflektiert und zielgerichtet ausgewertet werden, einen wesentlichen Erkenntnisgewinn bezüglich möglicher beruflicher Perspektiven, der Leistungsfähigkeit und zu möglichen Unterstützungsbedarfe.

Die Anwendung standardisierter diagnostischer Testverfahren oder Profilverfahren wie IMBA (IMBA 2000) oder MELBA (BMA 1997) haben sich nicht als hilfreich erwiesen, um berufliche Perspektiven für Menschen mit Lernschwierigkeiten zu entwickeln. Schartmann (Schartmann 2001) weist zu Recht darauf hin, dass ein statusdiagnostischer Blick unzureichend ist und auch die „Zone der nächsten Entwicklung“ der Menschen mit Lernschwierigkeiten zu berücksichtigen sei. Außerdem zeigt die Erfahrung in Unterstützter Beschäftigung, dass die mögliche berufliche Eingliederung maßgeblich von dem zur Verfügung stehenden Unterstützungsinstrumentarium abhängt. Ginnold (Ginnold 2006, 380 ff.) hat in einer qualitativen Studie u. a. die psychologischen Gutachten der Agentur für Arbeit mit den realen Eingliederungsverläufen verglichen und festgestellt, dass diese keinen prognostischen Wert für die berufliche Entwicklung hatten. Barlsen und Bungart (Barlsen/Bungart 1999, 132 ff.) wiesen nach, dass die Erstellung von kompletten Fähigkeits- und Anforderungsprofilen nach MELBA nicht zu einer Verbesserung der beruflichen Eingliederungen führte (vgl. ähnliche Einschätzung bei Kastl/Trost 2002, 170, Trost 1997, 85). Gleichwohl hat es sich als sinnvoll erwiesen, anhand von strukturierten Fragebögen arbeitsrelevante Fähigkeiten gezielt zu erfassen und zu dokumentieren. Dabei können ein Teil der Kriterien von IMBA und MELBA durchaus eine Grundlage bilden. Inzwischen haben viele Integrationsfachdienste bereits eigene Fragebögen für die praktische Arbeit entwickelt (vgl. z. B. Anhang in Doose, Putzke, Wiesenberg 2004, Bungart, Supe, Willems 2001, 110, Deusch/Westermann 2000, Weiterbildungs-Initiative NRW 2003, viele Ideen bei Bolles 2004).

Sollten Unklarheiten hinsichtlich der Interessen, der Fähigkeiten und/oder des Unterstützungsbedarfs bestehen, bieten sich Hospitationen, kürzere Arbeitserprobungen oder Praktika in Partnerbetrieben an. Ein situatives Assessment in betrieblichen Situationen liefert meist mehr Hinweise als eine künstliche Testsituation. Dabei können entsprechende Bögen mit einer Selbst- und Fremdeinschätzung auch zur Reflexion von Praktika genutzt werden. Die gemeinsame Einschätzung der Stärken und Fähigkeiten in der individuellen Berufsplanung haben zunächst oft hypothetischen Charakter. Diese Arbeitshypothesen müssen dann im weiteren Integrationsprozess überprüft und ggf. modifiziert und erweitert werden. Oft kristallisieren sich bei ArbeitnehmerInnen mit Lernschwierigkeiten erst in etwas längeren Praktika die konkreten Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der tatsächliche Unterstützungsbedarf im jeweiligen Betrieb heraus. Deshalb hat sich ein längeres begleitetes Praktikum auch als ein wesentlicher Zugangsweg zum sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis für Menschen mit Lernschwierigkeiten erwiesen.

Eine gute Ergänzung zur Einzelberatung können in dieser Phase Gruppenangebote sein, wie z. B. BewerberInnentreffen, bei denen zentrale Themen wie das Verhalten in Bewerbungsgesprächen, die Anforderungen im Betrieb oder arbeitsrechtliche Fragen besprochen werden können. Dabei hat es sich bewährt, auch bereits vermittelte Personen mit Lernschwierigkeiten als ExpertInnen einzubeziehen. Außerdem können die BewerberInnen sich in der Gruppe im Sinne eines „Peer-Supports“ gegenseitig bei der Berufsplanung und der Arbeitssuche unterstützen (vgl. Horizon 1999, 30 f., BAG UB 2005, 53 f.).

Für die individuelle Berufsplanung und eine erfolgreiche berufliche Integration hat es sich als sinnvoll erwiesen, mit der KundIn möglichst viele UnterstützerInnen aus dem sozialen und beruflichen Umfeld zu identifizieren und einzubeziehen (vgl. Doose, Putzke, Wiesenberg 2004, Niedermair/Tschann 1999a ). Mit Einverständnis der KundIn sollte insbesondere auf die positive Einbeziehung der Familie, der PartnerIn und des sozialen Umfelds geachtet werden. Dies stellt bisweilen eine Herausforderung dar, da manchmal die Familie, aber auch eine PartnerIn einer Arbeitsaufnahme auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kritisch gegenüber steht. Der Einbezug des sozialen Umfelds ist aber wichtig, da die familiäre Unterstützung ein höchst signifikanter Faktor für das Gelingen der beruflichen Integration ist. Oft gibt es im Netzwerk eines Menschen mit Behinderung auch andere professionelle Personen wie z. B. die BerufsberaterIn, WohnbetreuerInnen, gesetzliche BetreuerInnen, WerkstattgruppenleiterInnen oder LehrerInnen, die in die individuelle Berufsplanung mit einbezogen werden können. Diese Vernetzung im Einzelfall ist insbesondere bei Übergangsprozessen wichtig z. B. aus der Schule in den Beruf, aus außerbetrieblichen Berufsausbildungsmaßnahmen oder der WfbM. Im Übergang von der Schule in das Erwachsenenleben ist diese Vernetzung in den USA im Rahmen eines individuellen Entwicklungsplanes (IEP) verbindlich vorgeschrieben, in Baden-Württemberg soll sie als „individuelle Berufswegeplanung“ (KVJS 2005) zukünftig durchgeführt werden. Die individuelle Berufsplanung im Übergang von der Schule in den Beruf sollte als Bestandteil einer umfassenden Übergangsplanung in das Erwachsenenleben spätestens zwei Jahre vor Schulende beginnen. In Österreich wird die individuelle Berufsplanung für SchülerInnen im Übergang von der Schule in das Berufsleben als „Clearing“ bezeichnet und als spezielle Dienstleistung finanziert (vgl. Bundessozialamt 2006, BMSG 2006).

Zuletzt geändert: Montag, 19. August 2013, 14:43